Ohne grundlegende Veränderungen steht unsere Zukunft auf dem Spiel!

Referat, gehalten am 30. April 1997 anlässlich der Eröffnung der Gewerbeausstellung GEWEA 1997 in Sulgen. 

 

Sehr geehrte Damen und Herren

Obwohl wir uns heute hier gemeinsam optimistisch, positiv und freundlich geben, sind wir innerlich weitgehend bedrückt und sorgenvoll.
Mit welchen Problemen sind das Gewerbe und auch viele andere Unternehmen konfrontiert, und welche Widerlichkeiten und Sorgen müssen individuell oder gemeinsam gelöst und überlebt werden? 

  1. Unseren Kunden geht es schlechter, das Auftragsvolumen sinkt, und die Preise stehen weiterhin – wie seit Jahren schon – unter Druck.
  2. Wer Investitionen oder Kaufentscheide hinausschieben oder unterlassen kann, spart Geld und kauft oft schon bald bessere Produkte billiger ein.
  3. Forschung und Entwicklung verändern die Güter. Deren Kompatibilität untereinander zwingen in immer kürzeren Zeitintervallen Sie selbst und Ihre Kunden zu schnellen kostspieligen Betriebs-, Organisations und Marketingmassnahmen.
  4. Innovationen, Einsatz neuer Materialien und Produktionsfortschritte haben zu enormen Effizienzsteigerungen geführt. Dadurch sind die bestehenden Märkte umstrittener und kleiner geworden, was durch die Isolationspolitik der Schweiz noch beängstigend gefördert wird.
  5. Zahlungsfähigkeit und Vertragstreue haben nachgelassen, und wir erleben einen eigentlichen Wertezerfall.
  6. Mit Gesetzen, Verordnungen, Schutzvorschriften, Einsprachemöglichkeiten, Kontrollmechanismen und den eigenen fixen Kosten zwingen wir unsere Wirtschaft zu Mindestauslastungen, die nicht oder nur noch schwer erreichbar sind. Wir haben uns auch wegen der gegenseitigen privaten Kontroll-, Überwachungs- und Einsprachebereitschaft sowie mangelnder Toleranz der Freiheit weitgehend beraubt und uns mit Paragraphen selbst umzingelt.
     
  7. Die Finanzinstitute haben sich selbst unter Druck gesetzt und erheben Anspruch auf eine ständig höhere Performance. Das Vertrauen der Finanzwelt fehlt, denn unsere Margen sind zu gering und zu wenig gesichert, und Substanz ist nur noch gefragt, sofern die Rendite stimmt bzw. die Zins- und Kapitalrückzahlungen «trottelsicher» sind – dies bei starker Abhängigkeit von sich verengenden und nur beschränkt konstant bleibenden Märkten.Die Nationalbank hat die Zinssätze – wenn auch viel zu spät – gesenkt. Doch diese Vorteile bleiben vorerst bei den Banken und dienen in Milliardenhöhe zur Deckung begangener Fehler. Die Landwirtschaft braucht sich übrigens aus betriebswirtschaftlicher Sicht wegen den Subventionsbezügen im Vergleich zu den Banken nichts vorwerfen zu lassen. Trotz tieferer Zinssätze der Nationalbank geben die Banken die Kredite nur äusserst restriktiv frei, so dass – wenn überhaupt – die tieferen Zinsen oft nur beschränkt zum Tragen kommen.Es ist übrigens politisch und rechtlich fragwürdig, dass unsere staatliche Nationalbank ihre Gelder ausschliesslich wenigen privatwirtschaftlichen und rein kapitalistisch organisierten Banken zur Verfügung stellt – und dies ohne irgendwelche Wiederverwendungsauflagen. Die privilegierten Kreditempfänger haben die absolute Freiheit – und nehmen diese auch für sich in Anspruch –, die nationalen Gelder nach reinen Rendite-Überlegungen und freiem Ermessen, natürlich eingeengt durch das Bankengesetz und die Bankenkommission sowie allgemeine Buchführungsvorschriften, entweder im Ausland oder sonstwie anzulegen. Es ist doch schicksalhaft, dass gerade heute der Sinn und Geist der Kantonalbanken als Kreditgeber für die nicht zur schweizerischen Oligarchie gehörende Schicht wieder volle Aktualität gewinnt, gleichzeitig jedoch die Frage nach der Überflüssigkeit des Kantonalbankstatus im Raum steht.Um nicht bei diesem Thema zu verharren, möchte ich nur noch fragen, was denn die Banken, die Bankenkommission und die Nationalbank – meist noch vertreten durch die gleiche personelle Besetzung – ermächtigt und veranlasst, heute genau zu wissen, dass für Sie und die Wirtschaft nur eine äusserst restriktive Kreditgewährungspolitik richtig ist? Dies nachdem die gleichen Personen noch in den achtziger Jahren bewiesen haben, wie geeignet sie sind, katastrophale, auf reinem Umsatz und Machtstreben basierende Fehler zu begehen.
  1. Bei aller Kritik an der von uns nur marginal beeinflussbaren Entwicklung dürfen wir uns selbst als grösstes Problem jedoch nicht ausnehmen und auf keinen Fall schonen.Die eigene Bequemlichkeit verdeckend, von sozialer Marktwirtschaft, Allgemeinverantwortlichkeit und sozialem Frieden faselnd, liessen wir uns durch die brutale Realität der internationalen Marktwirtschaft ein- und überholen. Wir sind der Ideologie der Arrivierten und ihrem vorprogrammierten Untergang auf gesessen – und richten alles nur noch auf Besitzstandswahrung aus.Wer Besitzstandswahrung betreibt, übernimmt keine Risiken, und wer keine Risiken eingeht, hat auch keine Chancen!Dieser Fehler lässt uns abstürzen, weil wir ihn nicht vereinzelt – dies wäre wohlstandsverträglich – begehen, sondern kollektiv, substanz- und staatsgläubig und bestens in Franken versichert.Dem ersten grossen Irrtum unterlagen wir Schweizer, als wir nach dem Krieg – in kaum mehr nachvollziehbarer Überheblichkeit – begannen, das Gott- und Selbstvertrauen durch das Staatsvertrauen zu ersetzen. Damit begann der innere geistige Abstieg, bevor die Wirtschaft vor wenigen Jahren materiell spürbar nachzuziehen begann.Diesem widernatürlichen Wahn, stets das behalten zu können, was man erreicht hat, unterliegen auch die fix entschädigten Personen. Mit Penetranz und marktwirtschaftlichem Unverstand beharren nicht nur Gewerkschaften, sondern auch Arbeitgeberverbände auf einmal erreichten Positionen. Während Jahren wurden jede Warnung und jede neue Idee, jede Lockerung macht voll durch Gewerkschaften und Vorort – mit gütiger Unterstützung der Medien – verdammt und deren geistige Väter verleumdet. Heute schreien der Staat und das politische Establishment nach mutigen Unternehmern. Von diesen wird erwartet, dass sie mit schlagenden Ideen, grossem persönlichem Einsatz und selbstverständlich ehrfurchtsvoller Respektierung der staatlichen Verordnungen zwar nichts Wesentliches verändern und auch die Kosten nicht flexibilisieren, trotzdem jedoch Wunder bewirken und Manna vom Himmel fallen lassen. Es wird weiterhin munter von der Wirtschaft gefordert – einer Wirtschaft, die einen Rucksack zu schleppen hat, der zu Beginn der Industrialisierung als Handtaschchen am Handgelenk mitpendeln durfte, später auf dem Rücken getragen werden musste und heute mit Schweiss, zerschundenen Knien und gebrochenem Rückgrat geschleppt werden muss. Heute nun, nachdem die produzierende Wirtschaft unter diesem Rucksack praktisch zusammengebrochen ist, beginnen die Mörder ihre Opfer zu beklagen.Trotzdem, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach dieser Desillusionierung – als erstem Schritt zur Verbesserung – wollen wir hier bleiben und retten, was zu retten ist.Drei Punkte erscheinen mir unerlässlich, um 7 Millionen Menschen auf unseren 41’000 km2 in Würde, relativem Wohlstand, Frieden und Freiheit leben zu lassen:

 

  1. Flexibilisierung der Personalkosten
    Weltweit gesehen, gibt es nur Personalkosten. Wenn Sie alle Buchhaltungen der Welt konsolidieren, verbleibt lediglich eine einzige Position – die Personalkosten. Ob Sie Dividenden, Renten, Materialien, Veredelungen oder Honorare und Strom bezahlen, aufgelöst in ihre betriebswirtschaftlichen Atome, handelt es sich immer um Entschädigungen an Menschen. Die Natur stellt keine Rechnung – weder für wiederkehrende, erneuerbare, noch für raubbauartige Leistungen. Sie rächt sich auf ihre Weise.Lassen Sie mich deshalb folgende These aufstellen: Je stärker die Besitzstandswahrung und je geringer der qualitative Vorsprung unserer Leistung im Vergleich zu derjenigen der Konkurrenz ist, umso flexibler müssen die Kosten gestaltet werden, damit wir nicht alles verlieren.Die Flexibilisierung der Löhne und Gehälter allein bietet die Chance, eine Anpassung unserer Wirtschaft international durchzusetzen und den Abstieg in die relative Armut – oder bildlich gesprochen – vom vierten Stock in den Keller, von dem wir keine Ahnung mehr haben, aufzuhalten.Dies führt zur weiteren These, wonach jede Beschäftigung – auch zu einem tieferen, ständig neu auszuhandelnden Preis – volkswirtschaftlich sinnvoller ist als die volle Arbeitslosigkeit.Damit spreche ich nicht generell der Entlassung und Wiederanstellung zu niedrigerem Tarif das Wort, auch wenn sich solche Fälle de facto ergeben können.Um die Anpassung und den schwierigen Weg zurück zu den natur- und marktwirtschaftlichen Grundregeln zu ermöglichen, bin ich weiterhin der Auffassung, dass zum Beispiel Kurzarbeitsentschädigungen nie à fonds perdu zu Lasten des Staates ausbezahlt werden sollten. Sie sind vielmehr als tief verzinsliches Darlehen auszugestalten (beispielsweise zum Zinssatz, den die Nationalbank gegenüber den Banken anwendet) und mit der Auflage zu versehen, dass – so lange diese Überbrückungsdarlehen nicht voll an den Staat zurückbezahlt sind – keine Gewinnausschüttung in irgendeiner Form an Inhaber oder Aktionäre erfolgen darf. Nur mit einer solchen Regelung kann vermieden werden, dass reiche und renommierte Unternehmen weiterhin die Arbeitslosenkasse für Umstrukturierungen und Produktionsverlagerungen ins Ausland missbrauchen.Heute sind Arbeitslosengelder oder Kurzarbeitsentschädigungen so oder so verloren. Bei der Darlehensvariante stünde stets die konkrete Chance der Rückzahlung dahinter – und somit vom Bezüger die Abschätzung, ob es sich unter Berücksichtigung aller Konsequenzen lohnt, diese Form von Darlehen zu beanspruchen.Was die Flexibilisierung der Personalkosten generell betrifft, so hat diese selbstverständlich ausserhalb des Staates über einen Vertrag zu erfolgen. Man könnte sich vorstellen, dass ganze Belegschaften ihre Betriebe vom Kapitalgeber und Unternehmenseigner in gewissem Sinne pachten und mit ihm eine kurz-, mittel oder langfristige Verzinsung des investierten Kapitals vereinbaren nebst weiteren Punkten wie Werterhalt usw. Dies hätte zur Folge, dass die Zinsen als fixe Aufwandgrösse in der Erfolgsrechnung stehen würden und das Unternehmensergebnis mit den Personalkosten gleichzusetzen wäre.

    Es würde hier zu weit führen, auf dieses Modell detaillierter einzugehen, das jedoch – verbunden mit einigen sichern den Massnahmen – durchaus realistisch ist. Zur Zeit steht einer solch unkomplizierten Lösung das Gesetz entgegen, das eine fix bestimmte Entlöhnung der Beschäftigten vorschreibt. Es wäre auch erstaunlich, wenn unsere Politiker neue Wege, die uns aus der Sackgasse führen könnten, nicht verbaut hätten. Schon von der Terminologie her ist der Staat nicht imstande, für eine sich verändernde Zukunft Freiräume offenzuhalten. So reden wir immer noch von Arbeit nehmern und Arbeitgebern, obwohl diese Begriffe modernen Ansprüchen längst nicht mehr genügen.

 

  1. Trennung des politischen vom administrativen FöderalismusJa zum politischen FöderalismusViele Aufgaben wurden politisch zentralisiert und gegen ein Butterbrot nach Bern abgegeben. Dabei ging vergessen, dass die Schweiz – seit sie keine Feindbilder mehr hat – einer ständigen Zerreissprobe ausgesetzt ist. Ebenfalls ging vergessen, dass sich der St. Galler mit dem Genfer nur versteht, weil er mit ihm nichts zu tun hat, und Gleiches gilt umgekehrt auch für andere. Die Verantwortung für Wohlstand und Zukunft ist wie der überblickbar und personifizierbar zu machen, und deshalb sind die politischen Kompetenzen wieder zurück in die Kantone und Gemeinden zu holen.Nein zum administrativen FöderalismusDer Staat im weitesten Sinne als grösster und mehr oder weniger anonymer Kunde der Wirtschaft hat es fertig gebracht, dass der administrative Föderalismus noch ein Tabu darstellt. Auch darüber werden die Politiker erst reden, wenn diese Pfründe nicht mehr ergiebig genug ist.Das nominell hohe Einkommen in der Schweiz schmilzt deshalb unter dem Druck der direkten und indirekten Belastungen wie Steuern, Soziallasten, Krankenkassenprämien, Transportkosten, Lebensmittelpreisen, Bauneben kosten, Mietzinsen und vielen weiteren Belastungen mehr und mehr dahin. All diese Belastungen liegen ausserhalb des Einflussbereiches des Einzelnen.

    Die immer stärker perfektionierte öffentliche Organisation mit ihren Verwaltungen ist heute kaum mehr bezahlbar. Jede Handlung und jedes Vorhaben der Bürger wird von immer mehr Ämtern auf ihre Haltbarkeit und Verträglichkeit hin geprüft, kontrolliert und – sofern man Glück hat – mit vielen verteuernden Auflagen schliesslich bewilligt. Dies alles muss bezahlt werden nebst dem Unterhalt der schon bestehenden, gewaltigen staatlichen Infrastruktur.

    Hinzu kommt im weiteren, dass sich die Eidgenossen aus falsch verstandener Rechtsgleichheit – aber auch aus Neid – pedantisch genau selber überwachen, eifersüchtig die Initiative des anderen beobachten und sofort – zu Lasten des Staates und zur Freude der Anwälte – untersucht haben wollen, ob des Nachbarn Idee auch wirklich mit der Verfassung, den Gesetzen und Verordnungen übereinstimmt und darüber hinaus auch noch umweltverträglich ist. Einsprachen von allen Seiten haben Hochkonjunktur, und Einspracheberechtigte gibt es mehr als genug.

    Mit Bienenfleiss und Akribie leiten Funktionäre, Gerichte, Anwälte sowie die alles entscheidenden Medien, als stärkste Macht ohne Verantwortung, daraus ihre Existenzberechtigung ab – zu Lasten unserer Wirtschaft, der Bürgerinnen und Bürger.

    Dies führt zur weiteren These: Selbst durchrationalisierte und straff geführte Betriebe verlieren die Chance zu überleben, wenn es nicht gelingt, die politisch bedingten Kosten der Schweiz zu senken.

    Niemand spricht den staatlichen Institutionen, den Ämtern und Verwaltungen den Willen ab, das Beste für unser Land tun zu wollen. Doch kann man von jemandem, der sich über den politischen Weg Macht und Existenzsicherung zugeschanzt hat, erwarten, dass er sich selber wegrationalisiert?

    Es ist paradox: Bei allem Zentralismus, der sich in der Schweiz im politischen Bereich zugetragen hat, ist in administrativer Hinsicht beim Bund, den Kantonen und den Gemeinden genau das Umgekehrte geschehen. Die Administration wurde auf allen Ebenen stark ausgebaut. Der administrative Föderalismus treibt Sumpfblüten in Reinkultur. Der Bund, die 26 Kantone und die knapp 4’000 Gemeinden schaffen für die gleichen Zwecke Computer an, erarbeiten Drucksachen, beschäftigen Anwälte in gleicher Sache, führen eigene Gebäudeversicherungsanstalten, Kantonalbanken, kantonale und kommunale Elektrizitätswerke und halten sich extensive und vollständige Verwaltungsabteilungen mit eigenen PR-Stäben. Die Verwaltung hat die ihr treu ergebene Regierung und damit das Parlament fest im Griff!

    Dabei darf das überdimensionierte und teure Verwaltungsimperium auf die Naivität des Volkes zählen, das – gesteuert durch die Medien – beispielsweise das Bundesland Bayern arrogant findet und belächelt, weil es sich mit 13 Millionen Einwohnern und einer Fläche von 70’500 km2 (zum Vergleich: die Schweiz hat 7 Millionen Einwohner und eine Fläche von 41’000 km2) eine gewisse Eigenständigkeit anmassen will.

    Straffung der Verwaltung, Zusammenarbeit und Zusammenlegung administrativer Arbeiten, Vereinfachung von Arbeitsabläufen und Vereinheitlichung von Verordnungen, um nur einige zu nennen, betrachten viele Politiker als Arbeitsplatzkiller und nicht als Hilfe für die vom Ausland stark konkurrenzierte Wirtschaft und eine Entlastung der Steuerzahler. Politisch selbständige Gebilde, die seit 1848 gelernt haben sollten, miteinander zu reden, müssten heute eigentlich in der Lage sein, dasselbe zu tun wie zum Beispiel hundert unterschiedliche Restaurants, die sich aus Kostengründen ein Treuhandbüro leisten, was jedoch keines daran hindert, seine Individualität und Unverwechselbarkeit zu wahren.

    Falsch verstandener administrativer Föderalismus – verbunden mit einem mehr und mehr umsichgreifenden politischen Zentralismus – hält Hunderttausende mit sinnlosen Tätigkeiten und ineffizienten Doppelspurigkeiten in Trab und belastet die Rucksäcke der sich bedrohlich dezimierenden Träger. Es geht dabei nicht nur um die Gehälter, sondern auch um die Beanspruchung der Infrastruktur.

 

  1. Erweiterung der MärkteUnsere Märkte sind zu eng geworden. Durch das EWR-Nein und die Feindseligkeit gegenüber Europa und damit gegenüber unseren Kunden haben wir die Suppe vergiftet, die uns ernähren sollte. Schikanen, Ignoranz und Retourkutschen aller Art sind die Antwort, die wir weitgehend zu Rechternten. Noch 1989 schrieb eine hochangesehene schweizerische Tageszeitung in bester Gesellschaft mit exponierten Politikern: «Die Schweiz könne mit der Erfüllung ihrer Forderungen gegenüber Europa immer rechnen, sei sie doch ein ganz grosser entscheidender Kunde eben dieses Europas.» Dabei ist vergessen worden, dass man nur Kunde sein kann, wenn man Lieferant ist. Und genau diese Lieferantenstellung haben wir uns systematisch verbaut. Politisch und wirtschaftlich haben wir Steine in den Brunnen geworfen, aus dem wir getrunken haben.Während des wirtschaftlichen Aufstiegs schöpften wir unsere Beziehungen aus im Sinne von «eine Hand wäscht die andere». Heute im sich beschleunigenden Abstieg entpuppt sich dieses Netz als ein «Kontokorrent der Schweinereien», das nicht mehr erfüllt werden kann. Lassen Sie mich die nächste These aus einem Vortrag zitieren, den ich 1992 gehalten habe:«Marktwirtschaft verhält sich wie das Wasser. Sie fliesst dorthin, wo der Widerstand am geringsten ist. Marktwirtschaft verteidigt sich nicht. Sie politisiert nicht. Wird sie gestaut, so bewirkt sie jedoch früher oder später Dammbrüche und Verwüstungen. Entwässerte – entmarktete – Gebiete hinterlassen verödete Böden. Es entstehen Pseudomärkte, und Unkraut bewirbt sich um die letzten Staatsaufträge. Dieses «Unkraut» wehrt sich auch gegen jegliche Zugluft, gegen Frische und neues Leben. Es propagiert undifferenziert Stube, Heim, Geborgenheit und verteidigt in Wirklichkeit den muffigen Stall im eigenen Interesse.Die Vergangenheit hat es zur Genüge gezeigt: Die unfreien Länder haben immer grosse, lärmige Patrioten – und die meisten Fahnen. Es scheint, der Osten sei der Schweiz Pate gestanden – mit dem einzigen Unterschied, dass unsere Kühlschränke noch gefüllt sind, jene im Osten dagegen leer.» Bildlich gesprochen, ist unsere Gemeinschaft «Schweiz» mit einem Zug vergleichbar, der uns nach Westen bringen sollte, jedoch in Richtung Osten fährt. Die innere Ordnung, Sauberkeit und die perfekte Organisation, die Hintergrundmusik, die weissen Handtücher, die reservierten Plätze, die geleerten Aschenbecher und das uns mit Instruktionen, Befehlen, Verordnungen und kleinen Süssigkeiten überhäufende, massenweise vorhandene Zugspersonal täuschen uns über die falsche Richtung hinweg. Andere Volkswirtschaften fahren Richtung Westen, im Zug drinnen geht es jedoch ungeordneter zu als bei uns.Während wir langsam die Kälte des Ostens zu spüren bekommen, und sich alle an ihren Sitz – Besitz – klammern, spüren die anderen allmählich die Wärme, um mit mehr Freiheit mehr zu unternehmen.

    Unsere Chance, Ihre Chance liegt nur noch im Kampf für wesentliche fundamentale Veränderungen, die ich Ihnen kurz dargelegt habe, sowie in der täglichen Knochenarbeit verbunden mit Verzicht und dem Mut, eigene Wege zu gehen.

 

April 1997

Dieser Beitrag stammt aus meinem Büchlein „Klare Meinungen – zu früh ausgesprochen?“, veröffentlicht im Jahr 1999.