Sozialpartnerschaft – Störfaktor zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern? 

Kurzreferat, gehalten am 24. September 1996 im Rahmen des Lilienberg Kolloquiums. 


Sehr geehrte Damen und Herren

Gestatten Sie mir aus zeitlichen Gründen eine überspitzte, vereinfachte Einleitung. 

Die industrielle Entwicklung hat zwei Gruppierungen hervorgebracht, die heute um ihre Existenz kämpfen: auf der einen Seite den Vorort mit all seinen Verästelungen in die Industrie, die Dienstleistungen mit Banken und Versicherungen und auf der anderen Seite den Schweizerischen Gewerkschafts bund mit GBI, VPOD, SMUV usw. Verteilungskämpfe und Missstände haben die Anfangsperiode des wirtschaftlichen Wachstums geprägt, wobei eine langandauernd gesunde Wirtschaft und ständig sich verbessernde Zahlen mehr und mehr ein intern entspanntes Verhältnis unter den sogenannten Sozialpartnern entstehen liessen. Die Ertragslage der Volkswirtschaft machte den Staat zum Selbstbedienungsladen für alle, die es verstanden, sich im Filz einzunisten, um mehr oder weniger korrupt vom grossen schweizerischen «Kontokorrent der Schweinereien» zu profitieren.

Gegenüber der Öffentlichkeit liess man das Bild einer gewissen reinigenden Konkurrenzierung bestehen, wonach sich auf der einen Seite Ausbeuter und auf der anderen Seite Ausgebeutete be finden. 

Hier das grosse Kapital, von wenigen vertreten, und dort die vielen Menschen, welche nur durch ihre Masse, die sie verkörpern, Nachteile gegenüber den erstgenannten «wenigen Reichen» auffangen können. 

So einfach wäre dies, wenn es wahr wäre. Wahr blieb es offiziell so lange, als dadurch Pfründen erhalten und der soziale Frieden vorgegaukelt werden konnten – je nach Klientel mit verschiedenen Mitteln – am 1. Mai fürs «Pack» laut und aggressiv und an der Generalversammlung des Vororts für die «Führungsschicht» gediegen, wie es sich gehört.

Für beide Seiten gab es nur einen Feind. Der Feind war der Kritiker, der Unruhestifter, der Hinterfrager, kurz derjenige, der dieses Rollenverständnis und diese «Staatsräson» in Frage stellte. Dekadent und versnobt hat man sich damit aber aus dem Markt katapultiert. Es wäre doch alles so schön, nur beginnt nun plötzlich die Kasse nicht mehr zu stimmen. Nach dem Motto «jeder ist sich selbst der nächste» und «rette sich wer kann», sind die Gewerkschaftsmitglieder nicht mehr bereit und in der Lage, die Gewerkschaften finanziell mitzutragen, und auch dem bis vor kurzem blasierten Vorort schwimmen die Mitglieder davon oder sterben weg. Die Vorstände dieser Organisationen wenden sich nun an ihre Partner, die ihnen während Jahrzehnten die Existenzberechtigung durch Proforma–Streitigkeiten lieferten. 

Überspitzt können wir uns hier fragen: Was sollen die mit Überkapazitäten geplagten Vorstands– und Gewerkschafts funktionäre tun, um wieder sinnvoll in das sich verlagerte Geschehen der Wirt schaft eingreifen zu können? Wie soll man weiterhin Dämme begründen und bauen, wenn die flüssigen Mittel versiegen, fragt sich der eine, während der jahrzehntelange Freund und gleichzeitige Offizialgegner vor dem Problem steht, dass er weiterhin Schwimmwesten anbietet, aber weit und breit kein Wasser mehr vorhanden ist, und sich die Wüste ausdehnt.

Beide Organisationen haben ausgedient, wenn es nicht möglich ist, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und wie der die Basis und die Güter zu schaffen, die es vielleicht eines Tages einer glücklicheren Generation erlauben, wieder in allen Belangen übertreiben zu können. Dies wird nur realisierbar sein, wenn es uns gelingt, wieder konkurrenzfähig zu werden. D.h. wir kommen nicht darum herum, unsere Kosten zu senken, da es eine nur von Politikern über Jahre gepflegte Illusion war, sieben Millionen Menschen über Nischen und geniale Ideen ernähren bzw. auf dem heutigen Wohlstand halten zu können.

Um die Kosten senken zu können, müssen wir sie zunächst analysieren. Als dann stellen wir fest, dass diese nicht bei den Löhnen der produktiven Arbeiter und in der freien Marktwirtschaft anfallen, sondern beim durch und durch übertriebenen, perfektionierten, kostspieligen und arroganten Staat in allen seinen Formen. Die nicht übertriebenen Löhne und Gehälter der freien Wirtschaft können wir erst kürzen, wenn dabei die Kaufkraft nicht verringert wird. Das heisst, wir müssen unseren eigens grossgezogenen Feind, nämlich diesen 27fachen Staat und Bund mit seinen über 4’000 selbstherrlichen Gemeinden zurückstutzen zwecks Entlastung unserer Mitglieder, der Mitglieder insbesondere der Produktionsunternehmen und der Mitglieder der die Produktionsarbeiter angeblich vertretenden Gewerkschaften. Dies muss unweigerlich zu neuen Allianzen und Rationalisierungen führen.

Lassen Sie mich, um die Einflüsse unseres Staates auf die Kosten aufzuzeigen, folgende These zitieren, die ich 1995 bereits geäussert habe:

«Der politische Föderalismus ist beizubehalten, der administrative Föderalismus muss hingegen eliminiert werden. 

Die Politik hat die Effizienz des Staates zu fördern. Heute jedoch wird die Politik verwaltet und zwar durch die Verwaltungen. 

Der politische Friede innerhalb der Schweiz wurde und wird zu Recht auf die föderalistischen Strukturen zurückgeführt. In den letzten Jahrzehnten haben jedoch Sachzwänge, Machtansprüche und Finanzausgleichsüberlegungen immer mehr den politischen Zentralismus gefördert. Solidarität mit anderen Regionen, zentralistisch über den Bund geregelt, war die Devise. Verkehrswesen, Polizeiwesen, Gesundheitswesen, berufliche Vorsorge, Zivilschutz, Umweltschutz, Steuerwesen usw. wurden einander angenähert und teilweise fast deckungsgleich gemacht. Die teuren Verwaltungen blieben jedoch bestehen. Nur um dem Volk kantonale Eigenheit, Einzigartigkeit und Besonderheit vorzugaukeln, hat man in Details unterschiedliche Lösungen vorgetäuscht und damit die teuren Verwaltungen begründet.

Politisch wurde zentralisiert, administrativ jedoch dezentralisiert. Der politische Föderalismus unter den Kantonen und Gemeinden – dies kommt besonders in der Steuerpolitik und im Finanzausgleich zum Ausdruck – liegt im Sterben. Während man im Ausland teilweise dazu übergegangen ist, öffentliche Gemeinwesen nach unternehmerischen Gesichtspunkten zu führen und mehr und mehr Teile zu privatisieren, werden unsere Verwaltungen immer noch stärker perfektioniert. Möglicherweise liegt dies daran, dass wir in der Schweiz – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bürgerlich dominierte Regierungen und Parlamente haben, die bekanntlich mehr Mühe bekunden, marktwirtschaftliche Lösungen durchzusetzen. Im Ausland sin es durchwegs links dominierte Regierungen, welche wirkungsvolle Reformen durchführen. 

Es ist fast unglaublich, dass bei allem Zentralismus im politischen Bereich der administrative Bereich der öffentlichen Haushalte nicht nur keine Straffung und Zentralisierung erfuhr, sondern auf Bundes–, Kantons– und Gemeindeebene die Verwaltungen stets noch stärker ausgebaut wurden und werden. Hier treibt der Föderalismus Sumpfblüten in Reinkultur. Der Bund, die 26 Kantone und die knapp 4’000 Gemeinden schaffen sich für die gleichen Zwecke Computer an, er arbeiten Drucksachen, beschäftigen Anwälte in gleicher Sache, führen eigene Gebäudeversicherungsanstalten, Kantonalbanken, kantonale und kommunale Elektrizitätswerke und halten sich extensive und vollständige Verwaltungsabteilungen mit eigenen PR–Stäben. Die Verwaltung hat die ihr treu ergebene Regierung und damit ihr Parlament fest im Griff!

Dabei darf das überorganisierte und teuerste Verwaltungsimperium auf die Naivität des Volkes zählen, das gesteuert durch die Medien, beispielsweise das Land Bayern arrogant findet und belächelt, weil es sich mit 13 Millionen Einwohnern – die Schweiz hat 7 Millionen Einwohner – und einer Fläche von 70’500 km2 – die Schweiz hat 41’000 km2 – innerhalb Deutschlands eine gewisse Eigenständigkeit anmassen will. 

Straffung der Verwaltung, Zusammenarbeit und Zusammenlegung administrativer Arbeiten, Vereinfachung von Verordnungen usw. betrachten viele Politiker als Arbeitsplatzkiller und nicht als Hilfe für die vom Ausland stark konkurrenzierte Wirtschaft und Entlastung für die Steuerzahler. Politisch selbständige Gebilde, die seit 1848 gelernt haben sollten, miteinander zu reden, müssten heute eigentlich in der Lage sein, dasselbe zu tun wie z.B. 100 unterschiedliche Restaurants, die sich aus Kostengründen ein Treuhandbüro leisten, was keines daran hindert, seine Individualität und Unverwechselbarkeit zu wahren.» 

Weiter zitiere ich aus einem Referat, das ich 1994 gehalten habe: 

«Falsch verstandener Föderalismus hält Hunderttausende mit sinnlosen Tätigkeiten und ineffizienten Doppelspurigkeiten in Trab und belastet die Rucksäcke der sich dezimierenden Träger. Sie belasten die Wirtschaft nicht nur mit ihren Gehäl tern, sondern auch mit der von ihnen beanspruchten Infrastruktur.» 

Schlussfolgerung 

  1. Wir brauchen neue Allianzen! Unternehmer der produzierenden Industrie stehen ihren Arbeitern näher als Gewerkschaften, die sich gesamt schweizerisch solidarisieren und zum Beispiel für die Mitglieder des VPOD auf die Strasse gehen, um für deren Lohnerhöhung zu kämpfen und dabei gar nicht merken, dass sie damit das Grab ihrer eigenen Arbeitsplätze schaufeln.
  2. Die Allianz sollte heissen: Die Gewerkschaften der Produktionsbetriebe solidarisieren sich mit den Unternehmen der Produktion und umgekehrt. Die Gewerkschaft «Produktion» – z.B. der Maschinenindustrie – kann sich doch nicht solidarisieren mit der Gewerkschaft «Bau», welche zusammen mit den Baumeistern den Staat durch Staatsaufträge nochmals verteuern möchte.
  3. Für den Produktionsunternehmer macht es keinen Sinn mehr, seine Interessen durch den Vorort beim Bund vertreten zu lassen. Die Interessen der Finanzwelt, der Versicherungen usw. sind nämlich völlig unterschiedlich. Der Vorort mag im besten Fall ausgewogen sein, aber nicht effizient. Die Produktion, der Export und das damit zusammenhängende Gewerbe stehen sich – zusammen mit ihren Beschäftigten, deren Vertretung die Gewerkschaften offiziell beanspruchen – näher als Banken, Versicherungen, Staat und VPOD. 

Was wir in der heutigen schnellebigen Zeit benötigen, sind ständig sich wechselnde «Sachallianzen». Die Verflechtungen und die anonymisierten Besitzesverhältnisse, welche die Gewerkschafter zu Kapitalisten und die obersten Manager der Unternehmen zu Proletariern mit reaktionärem Gewerkschaftsgehabe haben werden lassen, nehmen den nostalgischen Gebilden wie Vorort und Gewerkschaft ihre Existenzberechtigung. 

Zum Schluss zitiere ich zu diesem Themenkreis eine Meinung, die ich bereits 1992 gäussert habe:

«Um nur die krassesten Nachteile einer Gewerkschaft zu eliminieren, müsste sie 

  • pro Branche höchstens einen Betrieb betreuen; 
  • sich mit den Unternehmenszielen vollständig identifizieren und sie als oberste Doktrin anerkennen können; 
  • das Marketingbild hier Ausbeuter – dort Ausgebeutete endlich verlassen; die Unvereinbarkeit genereller gewerkschaftlicher Interessen erkennen. Die Erfüllung zum Beispiel von VPOD–Forderungen ist doch eine blanke Gefährdung der Beschäfti gungsinteressen einer sinnvoll und produktiv arbeitenden Privatunter nehmung!

Die Gewerkschaften müssten sterben und wiederauferstehen – aber anders als heute! 

Auch in den Gewerkschaften versperren gestiefelte Kater und etablierte Pseudo intellektuelle neuen Kräften den Weg. Das Wirtschaftsestablishment in der Schweiz schliesst die Gewerkschaften mit ein und verdackelt langsam wie die Generalität Frankreichs nach dem 1. Welt krieg. Die Gewerkschaften wurden frühzeitig in unsere Ordnung miteingeschlossen nach dem arabischen Motto: Eine Hand, die man nicht abhacken kann, muss man schütteln. Zusammen degeneriert es sich angenehmer!» 

Der Konflikt heisst heute nicht mehr: Arbeitgeber gegen Gewerkschaft! Das wäre Leichenfledderei. Der Konflikt heisst: Produktion und Beschäftigte der Produktion und verwandter Betriebe gegen eine produktionsverteuernde, anonymisierte Allmacht des Staates in all seinen Formen. 

 

September 1996

Dieser Beitrag stammt aus meinem Büchlein „Klare Meinungen – zu früh ausgesprochen?“, veröffentlicht im Jahr 1999.