Wirtschaftsförderung
Schriftliche Fassung des mündlich vorgetragenen Kurzreferates, gehalten am 18. Oktober 1994 zum Thema «Wirtschaftsförderung» beim Schweizerischen Technischen Verband in Luzern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren
Der direkte und indirekte Staatsapparat mit all seinen offenen und versteckten Mechanismen nimmt zu. Die Inkasso und Verteilerorganisationen verschiedenster Art werden stärker und stärker, also Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Wohltätigkeitsorganisationen usw. und der sozial-gesellschaftliche Teil mit Schulen, Spitälern, Militär, Universitäten und weiteren nützlichen und notwendigen Institutionen, aber auch mehr oder weniger unnützen Einrichtungen fordern ebenfalls immer mehr! Von wem eigentlich?
Alle wollen mehr von einer Wirtschaft, die weitgehend vom Export inklusive Tourismus lebt. Alle wollen mehr von einer Wirtschaft, die unter sich selbst konkurrenzierende Interessen hat und sich somit unmöglich als Einheit – trotz Vorort – erfolgversprechend gegen Forderungen der Fordernden stellen kann. Es wird von einer Wirtschaft gefordert, die einen Rucksack zu schleppen hat, der zu Beginn der Industrialisierung als Handtäschchen am Handgelenk mit pendeln durfte, später auf dem Rücken getragen werden musste und heute mit Schweiss, zerschundenen Knien und gebrochenem Rückgrat geschleppt werden muss. Der Rucksack ist für die produzierende Wirtschaft unerträglich geworden.
Es ist ein Trugschluss anzunehmen, den exportabhängigen Betrieben und dem Tourismus stünden nur Dienstleistungsbetriebe und staatlicher Aktivismus als kaum beeinflussbare Belastung gegenüber. Auch viele andere Unternehmen leben heute von Staatsaufträgen und belasten – trotz Schrei nach «Frei-Heit» und «Frei-Sinn» – über die Staatskasse wiederum den Rucksack der Wirtschaft im allgemeinen und der exportorientierten im besonderen. Die Konsequenzen sind absehbar, jedoch alles andere als sozial. Jede Volkswirtschaft exportiert – entweder Produkte oder Menschen.
Es ist zeitlich nicht möglich, in fünfzehn Minuten zu differenzieren und allen Wechselwirkungen und Details gerecht zu werden. Doch bildlich gesprochen ist unsere Gemeinschaft «Schweiz» mit einem Zug vergleichbar, der uns nach Paris bringen sollte, jedoch in Richtung Moskau fährt! Die innere Ordnung, die offizielle Sauberkeit, die Hintergrundmusik und die perfekte Organisation, die weissen Handtücher, die reservierten Plätze, die geleerten Aschenbecher und das uns mit Instruktionen, Befehlen, Verordnungen und kleinen Süssigkeiten überhäufende massenweise vorhandene Zugspersonal täuschen uns über die falsche Richtung hinweg. Andere Volkswirtschaften haben die Richtung nach Paris, im Zug drinnen geht es jedoch ungeordneter zu als bei uns.
Während unser Zug langsam die Kälte von Moskau zu spüren bekommt, die Fahrt immer mehr ins Stocken gerät und sich alle an ihren Sitz – Besitz – klammern, spürt der zweite Zug langsam die Wärme, um mit mehr Freiheit mehr zu unternehmen.
Trotzdem fährt unser Zug in die falsche Richtung weiter. Die Strukturen werden zementiert, und jeder inventarisiert seine Rechte. Jeder unrentable und subjektive Bereich sucht seine Existenzberechtigung durch Aktivismus zu verstärken und belastet dabei zusätzlich den durch die Wirtschaft zu schleppenden Rucksack.
Die zunehmende Belastung wird zudem nicht gleichmässig auf die Wirtschaft verteilt. So können individuell Dienstleistungsbetriebe und auch gewisse Produktionsbetriebe von Massnahmen des Staates profitieren (z.B. Immissions und Umweltschutzbereich usw.), dies hingegen mit der Wirkung, dass damit anderen der Rucksack nochmals zusätzlich belastet wird.
Im falsch fahrenden Zug erzeugen wir Überhektik ohne Sinn für das Wesentliche. Viele Mitfahrende werden überbetreut. Wer die Kraft noch hat und wen die Beine noch tragen, plant den Aus- und Umstieg. Das Zugpersonal – die staatlichen Stellen – ist sich dieser Gefahr bewusst. Doch anstatt die Richtung zu ändern und mit den Rucksäcken sich selbst aus dem Zug zu werfen, glaubt man mit Hilfsmassnahmen – sprich Wirtschaftsförderung – die Aussteigenden durch neue Gäste ersetzen zu können. In jedem Wagen – sprich Kanton – werden Vorzugsplätze eingerichtet, und es wird geprüft, wie man Neuzusteigern Fahr- und Fensterplätze – zumindest vorübergehend – verschaffen kann.
Um die verschwundenen «Milchkühe» zu ersetzen, schwärmt gut geschultes Wagenpersonal aus und schaut sich in anderen Wagen nach Fahrgästen um, die mit allen möglichen kurzfristigen Versprechungen – unsere Demokratie lässt keine langfristigen mehr zu – in den eigenen Wagen gelockt werden sollen. Kurzfristige Erfolge des einen sind meistens ein Misserfolg des anderen.
Sinnlose Hektik und aktives Treten an Ort täuschen über die relative Wirkungslosigkeit hinweg. Noch vor wenigen Jahren jagten die Förderer allen Dienstleistern nach, denn sie waren in ihren Augen keine Umweltverschmutzer. Heute scheint man zu begreifen, dass es keine Dienstleistung ohne Produktion gibt und dass sogar Dienstleistung schrumpfen kann – eine für Politiker bis vor kurzem unvorstellbare Erkenntnis.
Eine grundlegende Richtungsänderung tut not. Radikale Massnahmen sind gefordert. Wir benötigen eine drastische Reduktion der Gesetze. Vorerst sollten wir sie innert weniger Jahre generell aufheben, wo nötig neu den Bedürfnissen anpassen und sie zeitlich stur befristen. In einer solchen Neuordnung hat eine staatliche «Wirtschaftsförderung» überhaupt keinen Platz mehr.
Eine radikale Finanzreform ist dringend nötig. Auch unsere Sozialwerke (inkl. BVG) sind aufzuheben und neu, nach heutigen und zukünftigen Bedürfnissen – auch in Bezug auf deren Organisation – auszugestalten. Unser Apparat muss entschlackt werden. Sein Selbsterhaltungstrieb bewirkt eine derartige Eigendynamik, dass die Ziele im einzelnen weit übertroffen und gleichzeitig neue Ämter geschaffen werden.
Falsch verstandener Föderalismus – verbunden mit einem mehr und mehr umsichgreifenden Zentralismus – hält Hunderttausende mit sinnlosen Tätigkeiten und ineffizienten Doppelspurigkeiten in Trab und belastet die Rucksäcke der sich dezimierenden Träger. Sie belasten die Wirtschaft nicht nur mit ihren Gehältern, sondern auch mit der von ihnen beanspruchten Infrastruktur. Man kann auch Föderalist sein, ohne 27fache Parallelläufe in allen Belangen zu verursachen. Flexibler Arbeitseinsatz – basierend auf marktwirtschaftlichen Realitäten – allein, verursacht durch Effizienzsteigerung, ist in der Lage, die Konkurrenzfähigkeit wieder herzustellen und längerfristig neue, wirtschaftlich begründete Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Eigenmächtigkeit des Staates und der unkontrollierte Wildwuchs staatlicher Macht wird durch die Tatsache gefördert, dass die Schweiz – seit sie keine Feindbilder mehr hat – keinen gemeinsamen politischen Nenner mehr findet.
Es wäre fatal, wenn eine sich ausbreitende neue Armut all das in den letzten Jahrzehnten Geschaffene in Frage stellen würde und Reformen gewaltsam einleitete.
Bis die geforderten radikalen Veränderungen zum Tragen kommen, sollte die Wirtschaftsförderung im Sinne einer Übergangsregelung folgende Grundsätze beachten:
- Wirtschaftsförderung – sofern überhaupt – macht nur dann einen Sinn, wenn damit die Exportchancen unserer Volkswirtschaft insgesamt erhöht werden.
- Wirtschaftsförderung muss stets neutral sein. Es darf nicht im Ermessensspielraum des Staates und seiner Repräsentanten liegen, einzelnen Personen Mittel oder Vorzüge zu kommen zu lassen.
- Wirtschaftsförderung ist klar und abschliessend zu definieren. Sie darf den Rahmen einer extensiven Information, der Anpreisung natürlicher dauernder Vorteile, der Öffnung von Türen und des Geleitens durch das Dickicht der Verwaltung, Verbände, Organisationen usw. nicht übersteigen.
- Wirtschaftsförderung darf die «Neuen» gegenüber den «Implantierten» nicht bevorteilen.
- Steuervorzüge müssen für alle und nachhaltig sein. Einseitige Geschenke – bezahlt durch die Staatskasse – sind zu vermeiden.
- Gute Rahmenbedingungen, weit auseinanderliegende Leitplanken, sind die wesentlichste Wirtschaftsförderung. Statt zu fördern, sollte mit Bremsen aufgehört werden. Die Verbilligung des Staates ist die beste Wirtschaftsförderung.
Wenn trotz dieser Vorbehalte materielle Wirtschaftsförderung geleistet wird, dann ist folgendes zu beachten:
- Die Wirtschaftsförderung muss öffentlich sein und publik gemacht werden. Leistungen sind der Konkurrenz und dem Volk bekanntzugeben. Es ist zu überprüfen, ob reale Leistungen nicht einer Art Referendum zu unterstellen sind.
- Der Bund sollte sich von der Wirtschaftsförderung fernhalten. Wirtschaftsförderungsmassnahmen des Bundes, die von Leistungen des beantragenden Kantons abhängig gemacht werden, sind unverständlich.
- Wirtschaftsförderungsinstanzen sollten jährlich öffentlich Rechenschaft über die von ihnen einst geförderten Unternehmen abgeben und Erfolge wie Misserfolge gesamtheitlich gewichten.
- Wirtschaftsförderung soll nie à fonds perdu gewährt werden.
In Anbetracht der Interessenskonflikte zwischen Finanzplatz und Produktionsplatz – einseitig beeinflusst durch die Nationalbank zu Gunsten des Finanzplatzes – ist die Gesamtheit und Wirkung der Wirtschaftsförderung eine Alibiübung. Die Nationalbank vernichtet zur Zeit tagtäglich tausendfach, was reale Wirtschaftsförderung im besten Fall bewirken kann!
Staatliche Wirtschaftsförderung, die über das Mass einer Dienstleistung durch Information im weitesten Sinne hinausgeht, ist marktwidrig! Ich zitiere aus einem 1992 gehaltenen Referat zum Thema «Arbeitslosigkeit»:
«Marktwirtschaft verhält sich wie das Wasser. Sie fliesst dorthin, wo der Widerstand am geringsten ist. Marktwirtschaft verteidigt sich nicht. Sie politisiert nicht. Wird sie gestaut, so bewirkt sie jedoch früher oder später Dammbrüche und Verwüstungen.
Entwässerte – entmarktete – Gebiete hinterlassen verödete Böden; Pseudomärkte entstehen, und ‚Unkraut’ bewirbt sich um die letzten Staatsaufträge. Dieses ‚Unkraut’ wehrt sich auch gegen Öffnung, gegen Zugluft, gegen Frische und neues Leben. Es propagiert undifferenziert Stube, Heim, Geborgenheit und verteidigt in Wirklichkeit den muffigen Stall im eigenen Interesse.
Die Vergangenheit hat es zur Genüge gezeigt. Die unfreien Länder haben immer grosse, lärmige Patrioten – und die meisten Fahnen. Es scheint, der Osten sei der Schweiz Pate gestanden – mit dem einzigen Unterschied, dass unsere Kühlschränke noch gefüllt sind, jene im Osten dagegen leer.»
Die Schweiz verneint seit Jahren marktwirtschaftliche Prinzipien.
Die Wirtschaft wird vor allem dann gefördert, wenn wir die Rucksäcke entlasten. Wir fördern unsere Wirtschaft nicht, indem wir ihr Krücken verpassen, damit sie die sperrigen, schweren Säcke besser schleppen kann. Eine komplizierte Umgebung bewirkt psychische und geistige Ermüdung. Diesen Stand haben wir heute in der Schweiz erreicht.
Desillusionierung ist der erste Schritt zur Besserung.
Oktober 1994
Dieser Beitrag stammt aus meinem Büchlein „Klare Meinungen – zu früh ausgesprochen?“, veröffentlicht im Jahr 1999.