Wirtschaftspolitische Betrachtungen
Referat, gehalten im August 1995 anlässlich des Jubiläums der Mandatec AG, Biel.
So wie der Katechismus mit der Frage beginnt: «Wozu sind wir auf Erden?», so möchte ich für unser Land , die Schweiz, die Frage stellen: «Wozu besteht sie?» Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat den Zweck, ihre Einwohnerinnen und Einwohner gegen aussen zu schützen, indem sie Massnahmen ergreift und durchsetzt, die nicht dem Einzelnen überlassen werden können.
Ihr Zweck nach innen ist die Erhaltung und die Schaffung von Bedingungen, die es erlauben, der Bevölkerung ihre drei Grundbedürfnisse zu sichern – die Ernährung, das Wohnen und die Kleidung. Dies ist der Mindestrahmen staatlicher Tätigkeit, den selbst Erzliberale sinnvoll finden und voll akzeptieren können. Alles jedoch, was darüber hinausgeht, gefährdet die Freiheit, die Eigeninitiative und die Marktwirtschaft, die Gott sei Dank nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 wieder etwas mehr Salonfähigkeit – selbst bei den bürgerlichen Parteien – gewonnen hat.
Im folgenden gestatte ich mir, die schweizerische Situation im besonderen sowie die westeuropäische im allgemeinen in Thesenform darzustellen und zu begründen.
These 1:
Je mehr der Staat über seine Minimal aufgaben hinausgeht, desto mehr gefährdet er die Minimalaufgaben und damit seine eigene Existenz.
Während der Staat – mit der Akzeptanz seiner Bürger – früher stets darum bemüht war, die kleinbäuerliche Struktur im Landwirtschaftsbereich zu erhalten und das Bauwesen den lokalen Gegebenheit zu überlassen, werden heute diese – staatserhaltenden – Strukturen vernachlässigt und geradezu fahrlässig vernichtet. Dies nicht etwa, weil diese Bereiche nicht mehr leistungsfähig wären – ganz im Gegenteil –, sondern weil der Staat eine Kostenstruktur entwickelt und sich Aufgaben «zuorganisiert» hat, die es ihm verunmöglichen, seine Basisaufgaben zu erfüllen. Er ist heute schlicht nicht bereit und in der Lage, seine eigenen Verwaltungaufgaben sowie die unerträglich und unbezahlbar gewordenen Nebenaufgaben abzubauen. Unser Staat ist vergleichbar geworden mit einem Mann, der sich vermeintlich das Brot nicht mehr leisten kann, sich jedoch standhaft weigert, auf das Golfspiel, das Deltasegeln und den Urlaub an mondänem Ort zu verzichten.
Auf dem Hintergrund einer über Jahr zehnte erstarkten Wirtschaft bauten sich Bund, Kantone und Gemeinden zu einer Selbstzweckorganisation aus, deren aufgeblähter Apparat – inkl. Monopol betriebe wie PTT und SBB – heute eine enorme Belastung für die Wirtschaft und die Bürger darstellt. Der Staat als Ganzes hat «abgehoben». Er kennt nur noch die oberen Stockwerke seines Gebäudes; vom Keller hat er keine Ahnung mehr. Damit riskiert er, sein politisches Gleichgewicht zu verlieren.
These 2:
Der Staat ist – im Gegensatz zum Individuum – nicht in der Lage, sich selbst zu disziplinieren. Bevor er die verhängnisvollen Strukturprobleme löst, schlachtet er die Hühner, welche die goldenen Eier legen.
Wir nehmen es heute wie als von Gott gegeben hin, dass mit der Textilindustrie der einzige Wirtschaftszweig, der eines unserer Grundbedürfnisse stillt und nicht ortsgebunden ist – wie die Nahrungsmittelproduktion und das Bauwesen – seine Betriebe schliesst oder abwandert und damit abstirbt. Wir ignorieren dabei, dass die Maschinenindustrie, die chemische Industrie und andere produzierende Industriezweige weitestgehend auf der Textilindustrie basieren und sehr eng mit ihr verflochten sind. Die Forschung und Entwicklung – eines der schweizerischen Paradepferde – verdankt ihren Stellenwert vor allem der Textilindustrie, die immer wieder den Anstoss für Neuentwicklungen gegeben hat.
Die zunehmend verschmähte und in unseren Breitengraden als chancenlos fallengelassene Textilindustrie verdient es, geschichtlich und politisch kurz gewürdigt zu werden, weil sie das Abbild des produzierenden Sektors schlechthin ist. In Westeuropa und besonders in der Schweiz klingt dies wie ein Nachruf, während in anderen Regionen der Welt die Textilindustrie als zukunftsweisende Wachstumsbranche gilt und einen Boom erlebt, der nicht zuletzt – welche Tragödie für uns! – auf der heute zwar noch vorhandenen, aber ohne Textilindustrie im Endeffekt schwindenden Kaufkraft des Westens beruht.
Überall dort, wo Wasser mit starkem Gefälle, Landwirtschaft und Armut zusammentrafen – im Piemont, im Schwarzwald, in den Vogesen, im Tösstal, im Glarnerland, in Yorkshire, in den Pyrenäen sowie im Tirol (die Liste könnte beliebig verlängert werden) – hat sich die Textilindustrie über Spinnereien, Webereien, Strickereien und Konfektionsbetriebe erfolgreich entwickelt. Es gibt kaum jemanden in diesen Regionen, der nicht Vorfahren hat, die Beschäftigung in dieser Branche suchten und fanden. Heute stirbt diese Industrie allein als Folge ihrer Kostenstruktur.
Unser Lebensstandard und, als Folge davon, unsere Kosten seien zu hoch, wird argumentiert. Wir hätten in der Schweiz die höchsten Löhne, wird nicht ohne Eitelkeit hinausposaunt. Wir seien zu gut für diese Branche, und wir sollten uns nur noch mit «hochwertigen» und «anforderungsreichen» Produkten, die eine höhere Wertschöpfung bringen, befassen. Es würde zu weit führen, diese Punkte hier einzeln zu widerlegen. Deshalb möchte ich lediglich auf die Kostenfrage tiefer eingehen.
Tatsächlich sind die Personalkosten in der schweizerische Textilindustrie rund 30 Prozent höher als in den meisten EU Staaten, und verglichen mit den Entwicklungsländern liegen sie um 90 Prozent höher. Bisher hat die Textilindustrie versucht, durch Rationalisierungen, günstige Energiepreise und Quotenregelungen bei der Einfuhr, Transportweg und Zinsvorteile die hohen Personalkosten zu kompensieren. In den letzten Jahren sind die Ausgleichsmöglichkeiten allerdings geschrumpft mit Ausnahme der Zinssätze. Diese sind jedoch nur dann von Bedeutung, wenn Fremdgelder im Spiel sind. Zur Zeit werden Gelder von den Finanzierungsinstituten nämlich nicht mehr basierend auf der Substanz, sondern nur noch aufgrund angenommener Gewinnchancen zugeteilt. Dies bewirkt, dass einer ganzen Branche in Europa und der Schweiz – durch Strategieentscheid – systematisch Mittel entzogen werden und die Geldströme somit in Richtungen abfliessen, die unsere Märkte nicht nur konkurrenzieren, sondern bei uns viele Fabrikhallen zu Geisterschlössern mit Negativ werten werden lassen.
Die Banken sind jedoch nicht die Schuldigen, sondern bloss Indikatoren für diese Zustände und diesen vorherrschenden Glauben. Darauf basierend werden die Trends verstärkt. Denn wahr ist nicht, was wahr ist, sondern wahr ist, was man glaubt – und somit wird wahr, was nicht wahr ist. Also bleibt, um es kurz zu fassen, lediglich die Position «Personalkosten», die bei der Überlebensfrage den Ausschlag gibt. Daraus ziehen wir den voreiligen Schluss, dass unsere Werktätigen zu viel verdienen. Zieht man jedoch den Vergleich zwischen Kaufkraft und den nominellen hohen Personalkosten, so fällt auf, dass die Kaufkraft, der Lebensstandard, bei uns de facto geringer ist als im umliegenden Ausland. Das nominell hohe Einkommen in der Schweiz schmilzt mehr und mehr unter dem Druck der direkten und indirekten Belastungen wie Steuern, Soziallasten, Krankenkassen prämien, Transportkosten, Lebensmittelpreisen, Baukosten, die zu hohen Mietzinsen führen, und vielen weiteren Belastungen und Vorschriften. Sie alle liegen ausserhalb des Einflussbereiches des Einzelnen.
Die perfektionierte öffentliche Organisation – Bund, 26 Kantone und gegen 4’000 Gemeinden – mit ihren Verwaltungen für die Schule, die Polizei und den Kriminalbereich, den Umweltschutz und noch vieles mehr wird immer teurer und ist kaum mehr bezahlbar. Hierzu einige Beispiele: Unter dem «Label» Umweltschutz werden heute Parkplätze in kleine Gärten umgewandelt. Das Anpflanzen eines Baumes verschlingt dabei Sauerstoff, den er selbst unter idealsten Bedingungen im Laufe seines Baumlebens nicht zu produzieren vermag. Es werden Leitplanken ausgewechselt, ganz egal, ob dies nötig ist oder nicht, und jede Handlung und jedes Vorhaben des Bürgers wird auf die Haltbarkeit hin durch fünfzig Ämter geprüft, kontrolliert und – sofern man Glück hat – mit vielen verteuernden Auflagen schliesslich bewilligt. Dies alles muss bezahlt werden – von der Wirtschaft und von den Bürgern.
Zu diesem Staat gehört auch eine gewaltige Zahl de facto Arbeitsloser, die zwar eine Stelle besetzen und Infrastrukturen beanspruchen, betriebswirtschaftlich jedoch ausschliesslich die Herstellungs kosten der Wirtschaft belasten. Hinzu kommt im weiteren, dass sich die Eidgenossen aus falsch verstandener Rechts gleichhheit – aber auch aus Neid – pedantisch genau selber überwachen, eifersüchtig die Eigeninitiative des andern beobachten und sofort – zu Lasten des Staates und zur Freude der Anwälte – untersucht haben wollen, ob des Nachbarn Idee mit der Verfassung, den Gesetzen und Verordnungen auch wirklich übereinstimmt und darüber hinaus auch noch umweltverträglich ist. Einsprachen von allen Seiten und zu allem haben Hochkonjunktur, Einspracheberechtigte gibt es mehr als genug. Und mit satanischer Akribie leiten Funktionäre, Gerichte, Anwälte sowie die alles entscheidenden Medien, als stärkste Macht ohne Verantwortung, ihre Existenzberechtigung ab – zu Lasten der Wirtschaft und der Bürgerinnen und Bürger.
These 3:
Selbst durchrationalisierte und straff geführte Betriebe verlieren die Überlebenschance, wenn es nicht gelingt, auf die politisch bedingten Kosten der Schweiz Einfluss zu nehmen.
Niemand spricht dem Bundesrat, den Ämtern und Verwaltungen den Willen ab, das Beste für unser Land tun zu wol len. Doch kann man von jemandem, der sich über politische Entscheidungen Macht und Extistenzberechtigung zugeschanzt hat, erwarten, dass er sich selber wegrationalisiert?
Die Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre, während welchen sich die Engpässe der Wirtschaft von der Produktion zu den Märkten verlagert haben, um nun zu den Finanzengpässen überzugehen, haben nicht genügt, um den Höhenflug des Schweizer Frankens zu bremsen. Nach aussen pflegen wir nach wie vor das Erscheinungsbild, wir seien eine homogene, erfolgreiche Familie. Es scheint den Finanztransakteuren zu entgehen, dass wir heute – bildlich gesprochen – den Kühlschrank leer fressen und politisch, mangels Feindbildern, unsere Existenzberechtigung allmählich verlieren, was zu inneren Problemen und Konflikten führt, sofern es nicht gelingt, neue wirtschaftliche Impulse auszulösen. Hohe Infrastrukturbelastungen und hohe Personalkosten, verschärft durch den hohen Schweizer Franken, diesmal ohne Zinssenkungseffekt, denn die zu fliessenden Milliardenbeträge werden nicht mehr in der Schweiz investiert, lassen die an sich jetzt schon schwachen und angeschlagenen Wirtschaftszweige wie die Textilindustrie sterben und zwingen andere Unternehmen, ihre Standortstrategien zu überdenken. Einer Unternehmung ist es nämlich egal, ob es die Schweiz gibt oder nicht. Die Wirtschaft verhält sich wie das Wasser; sie fliesst dort hin, wo der Widerstand am geringsten ist. Um sie hier zu behalten, muss der Widerstand gebrochen werden. Dies erfordert ein politisches Umdenken und rasch wirksame Massnahmen.
These 4:
Der politische Föderalismus ist beizubehalten, der administrative Föderalismus muss hingegen eliminiert werden.
Die Politik hat die Effizienz des Staates zu fördern. Heute jedoch wird die Politik verwaltet und zwar durch die Verwaltungen.
Der politische Friede innerhalb der Schweiz wurde und wird zu Recht auf die föderalistischen Strukturen zurückgeführt. In den letzten Jahrzehnten haben jedoch Sachzwänge, Machtansprüche und Finanzausgleichsüberlegungen immer mehr den politischen Zentralismus gefördert. Solidarität mit anderen Regionen, zentralistisch über den Bund geregelt, war die Devise. Verkehrswesen, Polizeiwesen, Gesundheitswesen, berufliche Vorsorge, Zivilschutz, Umweltschutz, Steuerwesen usw. wurden einander angenähert und teilweise fast deckungsgleich gemacht. Die teuren Verwaltungen blieben jedoch bestehen. Nur um dem Volk kantonale Eigenheit, Einzigartigkeit und Besonderheit vorzugaukeln, hat man in Details unterschiedliche Lösungen vorgetäuscht und damit die teuren Verwaltungen begründet.
Politisch wurde zentralisiert, administrativ jedoch dezentralisiert. Der politische Föderalismus unter den Kantonen und Gemeinden – dies kommt besonders in der Steuerpolitik und im Finanzausgleich zum Ausdruck – liegt im Sterben. Während man im Ausland teilweise dazu übergegangen ist, öffentliche Gemeinwesen nach unternehmerischen Gesichtspunkten zu führen und mehr und mehr Teile zu privatisieren, werden unsere Verwaltungen immer noch stärker perfektioniert. Möglicherweise liegt dies daran, dass wir in der Schweiz – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bürgerlich dominierte Regierungen und Parlamente haben, die bekanntlich mehr Mühe bekunden, marktwirtschaftliche Lösungen auch tatsächlich durchzusetzen. Im Ausland sind es durchwegs links dominierte Regierungen, welche wirkungsvolle Reformen durchführen.
Es ist fast unglaublich, dass bei allem Zentralismus im politischen Bereich der administrative Bereich der öffentlichen Haushalte nicht nur keine Straffung und Zentralisierung erfuhr, sondern auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene die Verwaltungen stets noch stärker ausgebaut wurden und werden. Hier treibt der Föderalismus Sumpfblüten in Rein kultur. Der Bund, die 26 Kantone und die knapp 4’000 Gemeinden schaffen sich für die gleichen Zwecke Computer an, erarbeiten Drucksachen, beschäftigen Anwälte in gleicher Sache, führen eigene Gebäudeversicherungsanstalten, Kantonalbanken, kantonale und kommunale Elektrizitätswerke und halten sich extensive und vollständige Verwaltungsabteilungen mit eigenen PR-Stäben. Die Verwaltung hat die ihr treu ergebene Regierung und damit ihr Parlament fest im Griff!
Dabei darf das überorganisierte und teuerste Verwaltungsimperium auf die Naivität des Volkes zählen, das gesteuert durch die Medien, beispielsweise das Land Bayern arrogant findet und belächelt, weil es sich mit 13 Millionen Einwohnern – die Schweiz hat 7 Millionen Einwohner – und einer Fläche von 70’500 km2 – die Schweiz hat 41’000 km2 – innerhalb Deutschlands eine gewisse Eigenständigkeit anmassen will.
Straffung der Verwaltung, Zusammenarbeit und Zusammenlegung administrativer Arbeiten, Vereinfachung von Verordnungen usw. betrachten viele Politiker als Arbeitsplatzkiller und nicht als Hilfe für die vom Ausland stark konkurrenzierte Wirtschaft und Entlastung für die Steuerzahler. Politisch selbständige Gebilde, die seit 1848 gelernt haben sollten, miteinander zu reden, müssten heute eigentlich in der Lage sein, dasselbe zu tun wie z.B. 100 unterschiedliche Restaurants, die sich aus Kostengründen ein Treuhandbüro leisten, was keines daran hindert, seine Individualität und Unverwechselbarkeit zu wahren.
These 5:
Nur der Staatsbankrott kann den Staat retten bzw. das Gebiet des Staates als Einheit erhalten.
Wären der Staat und seine politischen Vertreter willens, die Kosten durch phantasievolle Effizienz zu senken und die nur so herumliegenden Einsparungen und Straffungen zu realisieren, so würde es Sinn abgeben, ihn bei seinen Bestrebungen zu unterstützen, die Finanzierbarkeit seiner Bemühungen sicherzustellen, Härtefälle beim Personalabbau zu vermeiden und letztlich im eigenen Land zu verbleiben.
Dem Realisten stellt sich jedoch viel mehr die Frage, wie er den Staatsbankrott vorantreiben kann, bevor Bund, Kantone und Gemeinden zusammen mit den öffentlichen Monopolbetrieben die noch vorhandene gesunde privatwirtschaftliche Struktur verschlungen und vernichtet haben.
Trotz hoher Rationalisierung zeigt die Textilindustrie als erste auf, wohin der Weg führt. Als ältester Wirtschaftszweig wird sie faktisch zuerst verschwinden. Die Textilindustrie hat ihre Beschäftigtenzahl von 183’000 Personen 1960 auf rund 40’000 Leute reduziert, ein Trend, der auch bereits andere Wirtschaftsbereiche erfasst hat, auch wenn dies in den verfälschten Arbeitslosenzahlen nur teilweisen Niederschlag findet.
Sicher spielen beim Abserbeln dieses bisher an dritter Stelle liegenden Exportzweiges auch Faktoren eine wesentliche Rolle, die direkt nichts mit den oben dargelegten Verhältnissen zu tun haben.
a) So verlagert sich die Baumwollindustrie in Richtung Gebiete, in welchen Baumwolle angepflanzt wird. Nebst Kalifornien sind dies ausschliesslich Entwicklungsländer.
– Konfektionsbetriebe sind relativ personalintensiv und eher investitionsarm und eignen sich verlockend zur Verlegung in Länder mit geringen Personalkosten.
– Als Folge davon können es sich verselbständigte Unternehmen in Asien leisten, Webereien, Strickereien sowie Ausrüst- und Veredelungsbetriebe nachzuziehen.
– Die Spinnereien schliesslich haben keine Wahl; sie folgen ihren Kunden nach.
b) Die Importe von Fertigprodukten aus Billiglohnländern nehmen zu und dies zu immer tieferen Preisen.
c) Die Geldströme innerhalb der Textilindustrie fliessen ab für den Einkauf von Fertigprodukten und bewirken Liquiditätsmängel bei den noch verbliebenen Firmen.
Bei all diesen für die Schweiz negativen Punkten ist noch zu berücksichtigen, dass sich die Schweiz mit dem Nein zum EWR selber isoliert und damit den für die Textilwirtschaft katastrophalen passiven Veredelungsverkehr zementiert hat.
So logisch dies alles erscheinen mag, so darf nicht ignoriert werden, dass sich die Wechselwirkungen negativ auch auf die Maschinenindustrie auswirken. Hier stehen wir jedoch erst am Anfang dieses Prozesses. Doch es wird sich als fatal erweisen, dass die Textilindustrie in ihrer Bedeutung derart unterschätzt wurde und leider immer noch wird.
These 6:
Jede Volkswirtschaft exportiert, entweder Produkte oder Menschen. Eine Volkswirtschaft, die einen Bereich der drei Grundbedürfnisse nicht mehr selbst abdeckt, verliert ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit.
Wenn grob als Luxus oder Wohlstand bezeichnet werden kann, was über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinausgeht, so resultiert der Wohlstand aus der freiwerdenden Zeit und Kapazität sowie aus den erzielten Überschüssen.
Somit verlagert sich im Endeffekt die überschüssige Kaufkraft dorthin, wo die Überschüsse anfallen – nämlich in die sich längst nicht mehr in der Schweiz befindende Textilindustrie. Ob wir in der Lage verbleiben werden, für diese kaufkraftstarken Länder viel mehr als Tourismus anbieten zu können, darf bezweifelt werden.
Die Textilindustrie soll nicht subventioniert werden. Sie soll jedoch auch nicht länger das Staatsschmarotzertum mit all seinen pseudobürgerlichen Verästelungen stützen. Wer diesem Staat mehr Geld gibt, als er unbedingt braucht, und nicht daraufhin wirkt, ihn durch Straffung und Kostensenkung zum Glück zu zwingen, schadet der Heimat.
These 7: Die Textilwirtschaft stirbt der verbleibenden Wirtschaft ihr eigenes Schicksal vor.
Es ist unrealistisch anzunehmen, dass die Dienstleistungserträge allein sieben Millionen Einwohner ernähren können.
Unsere Wirtschaft besteht aus Kapital und Arbeit. Das Kapital fliesst zur Zeit nur zu, um internationalen Turbulenzen zu entgehen. Es kommt nicht mehr, um Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erha ten. Es wird schnellstens sicherere Häfen suchen, sobald es bei uns zu wirtschaftlichen oder politischen Turbulen zen kommt. Nutzniesser und Neurotiker sind bereits heute in den Startlöchern, um unser Land vor den Problemen «zu retten», in die sie es aus Machtgier gestürzt haben. Die selbst ernannten «Heimatretter» verdrängen alsdann nicht nur die angeblich Heimatmüden, sondern auch den noch im Land verbliebenen Teil der einstmaligen Industrie sowie die Dienstleistungen. Diese haben ihre Koffer schnell gepackt, um der Produktion zu folgen.
Es ist eine riskante, aber durchaus plausible Hoffnung, dass die Region Schweiz über den Weg der Armut – bei ausgewechselter Bevölkerung – eines Tages wieder ein entwickeltes Industrieland werden kann.
These 8:
Wer die Welt nicht verändern will, wird sie auch nie wirklich verstehen.
Zur Untermalung dieser These schlage ich folgende Veränderungen vor:
a) Verstärkung des politischen Föderalismus, weg vom politischen Zentralismus.
b) Einführung des administrativen Zentralismus, weg von der kostspieligen administrativen Dezentralisierung.
c) Jährliche kommentarlose Publikation aller Empfänger von Aufträgen der öffentlichen Hand, welche den Betrag von insgesamt Fr. 200’000 übersteigen.
d) Aufhebung des Finanzausgleichs unter den Kantonen über den Bund und Einführung des Finanzausgleichs über bilaterale Kontakte zwischen den Kantonen.
e) Aufhebung aller Gesetze 20 Jahre nach ihrer Inkraftsetzung, sofern sie nicht ausdrücklich erneuert werden.
f) Abschaffung der direkten Bundessteuern und Finanzierung der Bundesausgaben ausschliesslich über die Mehrwertsteuer.
g) Aufhebung aller staatlichen Sozialwerke und Vorsorgeeinrichtungen wie AHV, BVG, Arbeitslosenversicherung usw. Dafür Einführung einer existenzsichernden Mindestzahlung an alle Einwohner, unabhängig ihres Einkommens und Vermögens.
h) Revision des Justizwesens mit Richterwahlen durch das Los, basierend auf anerkannten Qualifikationskriterien und erschwerter Abwahl. Weg von der grassierenden Wahl der Richter nach praktisch rein politischen Kriterien.
Grundlage dieser Überlegungen ist die Erkenntnis, dass der Staat und seine Institutionen zum Hauptkostenfaktor der herzustellenden Produkte geworden sind und somit – bei zunehmenden Problemen – immer mehr Macht brauchen, um sich den ständig angeeigneten Machtzuwachs zu sichern.
August 1995
Dieser Beitrag stammt aus meinem Büchlein „Klare Meinungen – zu früh ausgesprochen?“, veröffentlicht im Jahr 1999.